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"Ich will auf seine Lage aufmerksam machen" Interview mit dem Macher von ich-werde-abgeschoben.de

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Nanning Honsel will helfen: Mit den Kenntnissen aus einem HTML-Kurs die Homepage ich-werde-abgeschoben erstellt, um auf die Lage von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aufmerksam machen. Das sind Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, die ohne Begleitung aus dem Ausland nach Deutschland fliehen. Im vergangenen Jahr waren es laut dem Bundesfachverband für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge circa 500. Nach ihrer Ankunft werden sie in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht und bekommen einen Vormund. Ab ihrem 16. Geburtstag greift das Asylverfahrensgesetz: Die Jugendlichen gelten als handlungsfähig, sprich sie werden wie Erwachsene behandelt, müssen zum Beispiel ihren Asylantrag allein stellen. Ob das Bundesamt für Migration diesen Antrag bewilligt oder nicht, wird von Fall zu Fall entschieden. Wenn das Bundesamt den Asylantrag jedoch ablehnt, werden die Jugendlichen in den allermeisten Fällen bis zu ihrem 18. Geburtstag geduldet. Danach droht ihnen die Abschiebung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Foto: privat Nanning, was fällt dir zum Stichwort "unbegleiteter minderjähriger Flüchtling" ein? Die Zeitschrift "Schlepper" und Moghim fallen mir ein. Eben wie die Geschichte der Homepage angefangen hat. Wie hat sie denn angefangen? Bei der Weihnachtsfeier von meinem Footballverein vor zwei Jahren hat meine Mutter zufällig im "Schlepper", dem Magazin des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein, geblättert. Und einen Artikel über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelesen. Meine Mutter hat die Arbeit des Flüchtlingsrates beeindruckt, sie hat sich erkundigt, wie sie helfen kann. Erst hat sie keinen Pflegefall bekommen, doch dann war auf einmal Moghim hier in Flensburg. Das ist ein Freund von Dir? Genau. Vor drei Jahren ist er aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Seine Eltern sind unter den Taliban ums Leben gekommen, ebenso wie seine beiden kleinen Geschwister. Ein Onkel hat Moghim mit Blutrache belegt und er musste fliehen. Meine Mutter hat angefangen sich um ihn zu kümmern und ich habe ihn so näher kennen gelernt. Und warum hast du dann die Homepage „ich-werde-abgeschoben“ gemacht? Moghim soll nach Afghanistan abgeschoben werden, obwohl er kein Geld hat, keine Ausbildung und sein Onkel gedroht hat, ihn dort umzubringen. Das finde ich schrecklich. Meine Mutter kann Moghim nur über die rechtlichen Wege helfen und ich wollte, dass auch die Öffentlichkeit von ihm erfährt. Und ich habe ja keine eigene Zeitschrift oder keinen eigenen Fernseh- oder Radiosender. Deswegen habe ich in der Schule eine AG belegt, "Homepage für Anfänger" hieß die. Da habe ich HTML gelernt und die Homepage für Moghim gemacht, das hat ungefähr zwei Monate gedauert. Mit der Seite will ich Moghim helfen, weil ich seine Situation sehr traurig finde und weil ich sie ein Stück weit nachvollziehen kann. Wie meinst du das? Ich spiele American Tackle Football in der dänischen Liga, weil man in der deutschen Liga als Minderjähriger noch nicht spielen darf. Aber meine Mannschaft darf jetzt in der dänischen Liga auch nicht mehr mitspielen, weil deutsche Kinder mitspielen - das ist in Dänemark nicht zulässig. Ich habe mich nach dieser Entscheidung traurig, allein und abgeschoben gefühlt. Moghim hat dieses Gefühl durch die drohende Abschiebung bestimmt noch viel stärker. Kanntest du dich vorher schon im Internet aus? Ich wollte schon immer was mit Computern zu tun haben und ich wollte lernen, wie man Programme schreibt, die AG hat mich fasziniert. Am Anfang war’s ein bisschen schwer, aber dann fällt’s einem leicht. Deine Homepage ist nicht stereotyp. Ihr Hintergrund ist rosa, es gibt den ein oder anderen Rechtschreibfehler und Audiodateien werden erst eingestellt, wenn du weißt, wie’s geht. Wie waren denn die Reaktionen? Es gab nur gute. Ich habe meine Homepage an 50 weitere Adressen geschickt, und gefragt, ob sie zu der Seite verlinken können. Also, ich habe nur positive Erfahrungen gemacht und alle Leute sind gut darauf angesprungen. Hat sich durch diese Homepage dein Leben verändert? Auf jeden Fall. Ich weiß jetzt, dass ich auch als 13-jähriges Junge was verändern und bewegen kann: Der Fall von Moghim ist an die Öffentlichkeit gekommen, es wird über ihn berichtet und gesprochen. Was sind deine weiteren Pläne? Die Homepage will ich auf jeden Fall erweitern und dann vielleicht auch noch Homepages privat machen, über mich, Freunde, meine Hobbys. Aber auch über andere Fälle von minderjährigen Flüchtlingen. Da muss ich mich erst noch genau erkundigen und dann die Texte verfassen. Auf der jetzt.de-Zeitungsseite vom 12. Juni kannst du die Geschichte von David nachlesen, auch er ist als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. Mittlerweile fühlt er sich hier integriert - jetzt wurde sein Asylantrag abgelehnt.

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